Geschmackserlebnisse....

RITUELLES ESSEN

Darf man überhaupt noch genießen? An allen Ecken braucht die Welt Hilfe. Die Erde scheint im Kern in Aufruhr. Vulkanausbrüche, Stillstand des Luftverkehrs, neue Erdbeben in China, auch weiterhin Korruption in Haiti und natürlich nicht nur da... Wie, wo, in welcher Weise kann der Einzelne helfen? Die Begriffe „Hilfloser Helfer“ und „Helfersyndrom“ gehen mir durch den Kopf. Das Bild der Kerze, die von zwei Seiten brennt, die sich verzehrt, drängt sich daneben. Die Chinesen sagen: Wenn die Kerze von zwei Seiten brennt, dann muss sie wissen, wo das Wachs herkommt. Also darf sie durchaus von zwei Seiten brennen, wenn der Wachszufluss geregelt ist, … Im Fluss des Lebens braucht jeder Mensch Lebensfreude, Genuss, Liebe, Dankbarkeit, um Energie in jeder Form aufzubauen und weiterzugeben. Dann ist auch wahre Empathie möglich. Wer sich der Lebenslust versagt, weil ja die Welt so traurig ist, der kann auch nicht von Herzen geben…

Schmecken und Riechen sind die Sinne des Gedächtnisses. Beim Essen erinnern wir uns an Uraromen unserer Kindheit. Die Idee zum rituellen Essen kam Mana Binz bei der Veranstaltung Flüssige Zeit in Frühjahr 2009, einer Veranstaltung im Rahmen der Mosel WeinKulturZeit, die Annette Köwerich - Schriftstellerin und Winzerin - organisierte. Reflektionen über Zeit, Leben in der Zeit, Leben im Fluss der Zeit und Leben im Fluss der Erinnerungen. Die Madeleine von Marcel Proust - beim Eintunken der Madeleine in den Tee war „mit einem Mal … die Erinnerung da.“ Über das Duft und Geschmackserlebnis verknüpft sich Gegenwart und Vergangenes zu Bewusstsein.

Die Geschmackserlebnisse der Kindheit sind Schlüsselerlebnisse. Regionale Spezialitäten gehören zur Gedächtniskultur. In den regionalen Küchen sind Kombinationen bestimmter Speisen typisch, z. B. im badischen Dampfnudeln mit Vanillesauce, Himmel und Erd im Rheinischen, warme Griesklöse mit kalter Rieslingzabaillone ein typisches Moselgericht, Eifeler Viezbraten mit geschmelzten Honigmöhrchen, Dinkelpfannkuchen ein Eifel-Klassiker, das Moselfränkische Kartoffelsüppchen, die armen Ritter der Nachkriegszeit, Brotsuppe, süße Pfannkuchen mit Erbsensuppe, Milchreis mit Zimt und Zucker…

Kochbuch der Erinnerung. Jede Region kennt ihre sozialen Geschmacksmemorate und Gedächtnisrezepturen. Das sonntägliche Fleischstück, vom Vater aufgeschnitten, mit Erbsen und Möhren in weißer Mehlschwitzsauce, mit dampfenden gekochten Kartoffeln mit etwas gebräunter Süßbutter und frischer Petersilie vereint ganz Deutschland. In der Kunstaktion: Rituelles Essen – Leben im Fluss greift Mana Binz gemeinsam mit dem Gastronomen Nene Nooij in den Rezepturen des rituellen Essens Geschmacksmemorate auf. In Erinnerungsrezepturen spiegelt sich Heimat und Kindheit.

Dynamik der Erinnerung. Aber wie das Leben im Fluss bleibt, so werden auch Geschmacksmemorate neu interpretiert. So greift das rituelle Essen auch die Dynamik der Rituale auf, denn die identitätsstiftende Wirkung traditioneller Spezialitäten einzelner Regionen ist nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches, etwas was im Fluss bleibt. Traditionen werden adaptiert und neu interpretiert und sind durch individuelle Weiterentwicklung und Änderungen im Gruppenverhalten, sowie insbesondere durch Reisen und Erinnerung an deren Geschmacksmomente einer steten Wandlung unterworfen. Die Erinnerung wird immer leicht verändert fortgeschrieben und schwingt sich in einer Reflexion von Vergangenheit, Gegenwart und Erwartungshaltung auf etwas Neues ein. Der Gedächtnisspeicher bleibt im Fluss, auch im Fluss der Erinnerung, Leben im Fluss. Daher thematisiert das rituelle Essen von Mana Binz auch den Übergang des Essensrituals im Dreiklang à la française in den Dreiklang à la russe unter Beibehaltung der klassischen Speisefolge eines Menüs, schlägt die Brücke zu anderen Kulturen, integriert wieder das Reinigungsritual und interpretiert in neuen Erinnerungsrezepturen alte Geschmacksmemorate neu.

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